Das nennen wir einen gelungenen Start in die Woche! Seit heute ist das Romantikerhaus und damit die Städtischen Museen Jena im Besitz der Erstausgabe von Friedrich Schlegels Skandalroman ‚Lucinde‘.
Skandalroman? In der Tat! Denn obwohl es sich bei dem Text um das außergewöhnliche und ambitionierte dichterische Erstlingswerk des Autors handelt, das heute zu den zentralen Texten der deutschen Romantik zählt, erhob sich mit seinem Erscheinen im Mai 1799 ein Sturm der Empörung. Auch in Jena spricht die ganze Stadt über das Buch, als Friedrich im Herbst zu seinem Bruder übersiedelt. Schließlich erzählt der Roman einigermaßen unverblümt von der körperlichen Liebe, von Partnerschaftswechsel, Androgynität und Rollentausch zwischen Mann und Frau. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, wurde den zeitgenössischen Lesern recht schnell klar, dass Schlegel hier nicht allein eine fiktionale Handlung erzählt, sondern sein eigenes Liebesleben mit Dorothea Veit schildert.
Wer nun aber einen erotischen Roman à la Shades of Grey erwartet, wird bei der Lektüre wohl erst einmal enttäuscht. Schlegels Lucinde ist eine kalkulierte Dichtung die verschiedene literarische Gattungen vereint und auf den ersten Blick unverständlich daherkommt. Schlegel geht es jedoch weniger um Skandalisierung, sondern um eine praktisch niedergeschriebene Romantheorie im Sinne der Romantik sowie um eine Neukonzeption der Liebe und der Ehe zwischen Mann und Frau.
Eine anstrengende, aber lohnende Lektüre, die die Augen für die Modernität der Romantik öffnet und durch die Schönheit der Sprache besticht:
„Nur ein Wort, ein Bild zum Abschiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan ist stolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn kümmert nichts, als daß der Glanz seiner weißen Fittiche rein bleibe. Er sinnt nur darauf, sich an den Schoß der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was sterblich ist an ihm, in Gesänge auszuhauchen.“
(aus: Friedrich Schlegel, Lucinde, Prolog)
